07:16 – Der Wecker klingelt und Janus blickt mit einem täuschend echtem Lächeln auf die Uhr. Jeden Tag, seit nunmehr länger als er sich erinnern kann, spielt diese Uhrzeit eine tragende Rolle in seinem Leben. Damals, als er noch lachen konnte, war ihm nicht klar, dass es einmal so einfach werden könnte. In seinem Inneren versteckt, liegt ein Pulverfass, eine Ladung, die nur darauf wartet, dass ein Funke überspringt und in ihm die ganze Last seines Daseins explodiert. Welche Tragödie. Er besinnt sich und setzt wieder sein Lächeln auf. Der Tag vergeht.
07:16 – Der Wecker klingelt und Janus hebt mit einer täuschend echten Träne im Auge den Kopf. Jeden Tag, seit nunmehr länger als er sich erinnern will, heuchelt diese Uhrzeit ihm eine trübe Wahrheit vor. Damals, als er noch Weinen konnte, war ihm nicht klar, dass es einmal so schwer werden könnte. Sein Äußeres ist wie die Lunte, die nur darauf wartet, dass der Funke überspringt und ihn für eine kurze Dauer aufstrahlen lässt, damit er wenigstens kurz erstrahlt. Welche Komödie. Er besinnt sich und setzt wieder sein Lächeln auf. Der Tag vergeht.
07:16 – Der Wecker klingelt und Janus springt mit täuschend echtem Elan aus dem Bett. Jeden Tag, seit nunmehr länger als er sich wünschen kann, spottet diese Uhrzeit über sein Verhalten. Damals, als er noch träge im Bett liegen blieb, war ihm nicht klar, dass es einmal so spaßig werden könnte. Seine Sammlung wird von Tag zu Tag größer und irgendwann wird er nicht mehr in der Lage sein, sein Gesicht unter all diese Masken wieder zu finden. Welches Schauspiel. Er besinnt sich und tanzt fröhlich in den Morgen hinein. Der Tag vergeht.
07:16 – Der Wecker klingelt und Janus zieht sich müde die Decke über den Kopf. Jeden Tag, seit nunmehr länger als er sich verfluchen will, begrüßt ihn diese Uhrzeit mit einem fröhlichen „Hallo“. Damals, als er noch fit war, war jeder Morgen etwas Besonderes und ihm war nicht klar, dass es einmal so eintönig werden könnte. Seine Sammlung wird von Tag zu Tag kleiner und irgendwann wird er nicht mehr in der Lage sein, seinen Sinn unter all diesen Ausreden zu behalten. Welche Ironie. Er besinnt sich und steht dann doch auf. Der Tag vergeht.
—
„Hey Linda, liebst du mich?“, Janus wollte ihr diese Frage schon den ganzen Morgen stellen.
„Natürlich Schatz.“, sie wischte sich die Müdigkeit aus dem Gesicht.
„Wirst du immer ehrlich zu mir sein?“, er blickte ihr tief in die Augen.
„Aber klar doch.“, schluckte sie leise, „Nur weißt du, mit der Wahrheit ist das so eine Sache!“
„Wie meinst du das?“, verwirrt kratzte er sich am Kopf.
„Sag mir doch bitte mal, wie spät es ist.“, Linda lächelte.
„Es ist jetzt genau 07:16.“, lächelte Janus auf die Uhr blickend.
„Genau.“, sie senkte den Kopf, „Die Wahrheit ist wie die Uhrzeit. Sie trifft zu, hält aber nur für einen Moment.“
„Verstehe ich nicht.“, er wurde unruhiger.
„Schau mal, deine Aussage; „Es ist jetzt genau 07:16″; ist die Wahrheit und daran wird niemand zweifeln, solange diese Uhrzeit auf dem Wecker steht. Wartest du aber noch kurz, so wird der Wecker dir eine neue Uhrzeit anzeigen und deine Aussage wird nicht mehr zutreffen.“ Linda griff nach seiner Hand.
Die Uhr zeigt nun 07:17.
„Bedeutet das, dass eine Wahrheit zu jedem anderen Moment eine Lüge werden kann?“ Janus runzelte die Stirn.
„Es bedeutet, was immer es bedeuten mag.“ sie küsste seine Wange.
—
07:16 – Der Wecker klingelt…