Neomat

Kapitel 3

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Kehrseiten oder: Das Leben im Binärsystem

 

Egal welche Entscheidungen ich in diesem Leben für mich oder andere traf, es kam irgendwie immer auf das Gleiche raus. Ich suchte nach Antworten, fand nur neue Fragen. Ich suchte nach Nähe und fand nur Distanziertheit. Ich suchte nach mir und fand nur andere. Ich suchte nach Lösungen und fand nur Probleme. Immer wieder irrte ich in einem Labyrinth aus Traum und Wirklichkeit hin und her. Ich sah Gutes, sah Böses, sah Frauen, sah Männer, sah Freunde, sah Feinde, sah Hoffnung und Bitterkeit. Ich fühlte und verstand zugleich alles und nichts. Es überkam mich wie eine Welle und überraschte mich, als ich nackt dastand und vor mir sich die ganze Weite des Universums ausbreitete und mir klar wurde, wie klein und vergänglich doch mein Dasein im Vergleich zu dieser Größe ist. Nie gab es nur zwei Seiten in diesem Spiel, das man Leben taufte, und nie gab es dieses Spiel. Wer zog an meinen Fäden – wenn nicht ich selbst – und wer würfelte mein Schicksal – wenn nicht ich selbst!

 

*** Allgemeines ***

In fast jedem Haushalt findet man sie, Computer. Sie sind ein Meisterwerk, und wenn man mal genau hinsieht, ist es erstaunlich, wie genau und präzise sie arbeiten. Dabei beruhen sie auf einem ganz einfachen System. Sie arbeiten ausschließlich mit Nullen und Einsen. Es gibt für sie nur diese beiden Zustände. An und aus. Ja und Nein. Ironischerweise ist der Computer ohne Witz genau nach dem Ebenbild seines Schöpfers erschaffen wurden. Die Computer sollen einem das Leben erleichtern und das geht am besten und einfachsten dann, wenn sie genau so funktionieren wie diejenigen, die sie brauchen. Worauf will ich also schlussendlich hinaus? Ihr Menschen seid genau wie eure Computer, ihr funktioniert, wenn man so sagen will, auch nur im Binärsystem. Alles in eurem Leben beruht auf dem Prinzip der Dualität. Warum sollte man aus mehreren Zuständen wählen müssen, wenn es doch viel einfacher und auch höchstwahrscheinlich viel logischer ist, aus nur zwei Zuständen die passende Alternative zu finden. Es ist nicht so, dass ihr mit dieser Veranlagung auf die Welt kommt, eure Erziehung und euer gesamtes Wissen beruht schon auf diesem Prinzip. So formt man euch schließlich zu genau den gleichen Maschinen, wie schon eure Eltern und deren Eltern und deren Eltern davor usw. es waren. Es ist einfacher und sicherer. Es ist stabiler und logischer. Es ist klarer und wesentlich menschlicher! Noch einmal kurz zusammengefasst ist die Aussage diese, dass ihr nicht wie Computer seid, sondern dass ihr Computer nach genau eurem Denkschema erschaffen habt. So gesehen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Computer auch „fühlen“ lernen, denn auch die Gefühle, so wie einfach alles auf der Welt, was euch betrifft, bestehen im Grunde genommen nur aus Nullen und Einsen. Wenn man so will, liegt das an eurer Fähigkeit, zu unterscheiden. Den Dingen einen Wert zu geben und sie dann zu beurteilen. Jedes Urteil ist eine Unterscheidung. Sie steht immer im Vergleich zu irgendetwas anderem. Ihr lernt etwas Neues kennen und sofort wird verglichen und bewertet. Dadurch habt ihr eine klare Vorstellung von dem Sinn und Nutzen dieser Sache. Nur als Kleinkind entdeckt ihr Neues und Unbekanntes, als erwachsener Mensch ist diese Entdeckungsgabe durch diesen einen Mechanismus ersetzt worden, der die Welt für euch in Gegensätze aufteilt: neu – alt, gut – schlecht, nützlich – unbrauchbar. Wie man es auch dreht und wendet, es läuft schlussendlich immer darauf raus, es so einfach wie nur möglich im Leben zu haben. „Wer die Wahl hat, hat die Qual“, auch dieses Sprichwort hat seine Daseinsberechtigung. Wer immer nur aus zwei Möglichkeiten wählen muss, dem bleibt eine lange Qual erspart. Schwieriger wird das Ganze, wenn aus zwei auf einmal tausend werden. Das Gehirn, das ja all die Jahre auf diese binäre Denkweise trainiert wurde, schafft es sogar in solch extremen Fällen noch auf einfache Art und Weise zu unterscheiden. Wäre dies nicht der Fall, würde einen das früher oder später in eine Art Wahnsinn treiben. Man stelle sich nur mal vor, es könnte zwischen Tod und ewigem Leben noch etwas Drittes geben.

Ist euch schon mal aufgefallen, dass euch das Wörtchen „vielleicht“ nicht so ganz behagt? Auch Wörter wie „eigentlich“ und „wahrscheinlich“ sind nicht so gern gehört. Das liegt daran, dass sie nicht klar unterscheiden und immer eine Alternative offen lassen. Alternativen sind in einer zweidimensionalen Denkweise nicht gern gesehene Gäste.

Als Neomat habe ich mir jegliche Art und Weise, zu beurteilen und zu vergleichen, abgewöhnen können. Ich maße mir nicht mehr an, Dinge auf ihre Eigenschaften zu reduzieren und sie nach ihrer Nützlichkeit zu bewerten. Natürlich steht es mir weiterhin frei, alles irgendwie zu katalogisieren, doch ist von Verallgemeinerung keine Spur. Ich bezweifele keinesfalls, dass ein Leben im Binärsystem ein recht einfaches Leben ist und dass, wenn sich die Möglichkeit bietet, immer nur in zwei Sparten zu denken, es um jeden Preis doch angenehmer ist, immer die positive Seite zu wählen. Wie soll man wissen, was das Beste für einen ist, wenn man mehr als eine Alternative zur Verfügung hat. Das fordert nicht nur die grauen Zellen, es kostet auch eine Unmenge an Zeit. Wer will schon so viel Aufwand betreiben? Als Schutz vor übertriebenem Input an das Gehirn haben einige unter euch eine noch viel bessere Lösung gefunden. Um sich die Mühe zu sparen, ein Urteil zu bilden, nehmen sie sich vorgefertigte Muster. Man nennt diese Muster auch Vorurteile. Vorurteile machen das Leben noch einfacher, als es ohnehin schon ist. Jeder kann sich ihrer bedienen und sie benutzen, wie er will. Am Wahrheitsgehalt eines solchen Vorurteils kann man schließlich immer noch später rumdrehen. Vorurteile sind die besten Freunde jener kognitiv Beeinträchtigten, die wegen all des Elends auf der Welt auch einfach nicht die Zeit finden, selbst zu denken. Ich fange einfach mal mit einem ganz banalen Beispiel an. Es könnte sein, dass es die Hauptursache dieser Dualität ist, doch es könnte auch einfach nur Zufall sein.

*** Mann / Frau ***

Zugegeben, es wird schwer, eine Alternative zu diesem Paar zu finden, doch auch dies soll schon vorgekommen sein. Ihr nennt sie Zwitter. Doch das tut hier nichts zur Sache. Es kommt mir vielleicht nur so vor, aber wenn man damit aufwächst und sieht, dass es, egal bei welchem Wesen, immer nur zwei Varianten gibt, ist eine Fixierung auf diese Zahl vielleicht sogar unausweichlich. Schon vor der Geburt ist klar, es wird entweder ein männlicher oder ein weiblicher Nachkomme. Dieser kleine Unterschied hat sich lange Zeit in den Köpfen der Menschen manifestiert und die Folgen dauern bis heute noch an. Nur in der Grammatik gibt es neben „männlich“ und „weiblich“ noch eine dritte Möglichkeit: „sächlich“. Das ist dann wohl auch der Grund, wieso sich nicht jeder mit der Grammatik anfreunden kann.

Männer waren stets die Anführer, die Alphatierchen und diejenigen, die das Sagen hatten. Sie arbeiten und bringen das Geld nach Hause. Frauen haben nicht so viel Glück in der Geschichte, stets wurden sie unterdrückt, waren nur da, um Kinder zu gebären und diese dann großzuziehen. Machten den Haushalt, kochten und bügelten.

Schon jetzt wird klar, dass die Aufgaben in der Gesellschaft stets in zwei Lager aufgeteilt waren. Gerade wegen dem Geschlechterunterschied konnte man so genau festlegen, was eine eher männliche Aufgabe und was eine weibliche Beschäftigung ist. Heutzutage hat sich das ein wenig geändert. Mittlerweile geht man hin und versucht diesen Unterschied nicht mehr zu machen. Es fällt vielleicht nicht jedem leicht, sich daran zu gewöhnen, aber auch Frauen können heute einen Männerberuf haben. Jetzt, da also dieser doch so offensichtliche Unterschied wegfällt, geht ihr in viel subtilere Bereiche, um dieses System am Leben zu erhalten. Es scheint, als wäre das Leben nicht lebenswert, wenn man nicht alles in zwei Seiten aufteilen kann.

*** Jung / Alt ***

Jetzt ist es schon nicht mehr so einfach, direkt zu unterscheiden, denn die Feststellung, ob jung oder alt, kann man immer erst in Bezug auf einen Standpunkt treffen. Außerdem ist die Altersabgrenzung auch der erste subtile Punkt, an dem die Menschen nach einer Eigenschaft diskriminiert werden. Viele Gesetze richten sich danach, ob man entweder zu jung oder zu alt für etwas ist. Dabei wird einfach festgelegt, ab welchem Alter eine dieser Grenzen erreicht wurde. Leute, die nie in das entsprechende Alter kommen, ziehen dabei zwangsläufig den Kürzeren.

Volljährig, so nennt man all die, die das Alter erreicht haben, in dem sie im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind. Das Alter schwankt so zwischen 18 und 21, doch wer will das den schon genau sagen können. „Ins Alter kommen“ heißt nichts anderes, als zu alt für die normalen alltäglichen Aufgaben zu werden. Das ist der Zeitpunkt, in dem die geistigen Fähigkeiten anfangen ein wenig nachzulassen. Dies konnte man bis jetzt leider noch keinem genauen Alter zuweisen, da dies anscheinend von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Zusammengefasst bedeutet das: Man wird im gleichen Alter volljährig, doch unterschiedlich alt. Man muss es erlebt haben, um es zu verstehen. Ich sehe das so, wenn man fähig ist, behaupten zu können, ab einem bestimmten Alter sei der Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, dann muss man auch fähig sein, sagen zu können, ab welchem Alter diese Kräfte nachlassen. Wenn dies wirklich aber von Mensch zu Mensch verschieden ist, ist diese ganze Altersbeschränkung absoluter Schwachsinn und eine Frechheit gegenüber den jüngeren Bewohnern dieses Planeten.

Schauen wir uns noch ein paar Beispiele an.

*** Arm / Reich ***

Die wohl gravierendste Unterscheidung, die die menschliche Rasse trifft, ist die Einteilung in Gesellschaftsschichten. Es gibt ja eine solche Unmenge an Geld, dass eine Verteilung an jeden einzelnen Menschen in der Theorie wohl möglich wäre. Jeder hätte dann genug Geld und es gäbe keine Reichen und keine Armen mehr. Dieser Zustand wäre aber nur von geringer Dauer. Diejenigen, die vorher kein Geld hatten, würden es auch viel schneller ausgeben als diejenigen, die welches hatten. Schon nach kurzer Zeit hätte sich die Situation wieder ins Anfangsstadium zurückgependelt. Der Mensch ist halt so. Doch nicht nur in Bezug auf Geld unterscheidet ihr zwischen arm und reich. Jemand ohne Freunde, der aber durchaus eine Menge Geld besitzt, ist dennoch „arm“ und einer ohne Geld, der die besten Menschen der Welt um sich hat, kann sich „reich“ nennen. Nicht genug, dass ihr zwar wie immer nur in zwei Sparten denkt, ihr versucht diese Denkweise in egal welchem Zustand auch noch beizubehalten. Ihr seid arm in euren Auswahlmöglichkeiten, aber reich an Starrsinn.

*** Gut / Schlecht ***

Kommen wir zu einem etwas anderen Paar. Es ist, wenn man so will, euer Hauptleittrieb. Einfach alles wird immer zu allererst in eine dieser beiden Schachteln gesteckt. Abzuwägen, ob es für euch nun „gut“ oder „schlecht“ ist, lernt ihr von Kindesbeinen an. Die Lieblingswörter eurer Eltern waren sicherlich: „Nein!“, „Böse!“ und „Schlecht!“. Eure Erziehung beginnt also damit, erst zu lernen, was nicht angebracht ist. Somit schaffen eure Eltern für euch eine zweidimensionale Welt, in der alles auf diese beiden Faktoren hinausläuft. Gut und Böse! Himmel und Hölle! Lieben und Hassen! Freund und Feind! Richtig und Falsch! All dies beruht auf dem gleichen Prinzip der Unterscheidung und in all den Fällen ist für euch eine Alternative dazu einfach nur ausgeschlossen. Wenn etwas nicht gut ist, dann muss es schlecht sein. Wer nicht in den Himmel kommt, der landet in der Hölle. Wenn man den Menschen nicht lieben kann, so muss man ihn hassen. Wer nicht euer Freund ist, der ist euer Feind. Was nicht richtig ist, kann nur falsch sein. Mir ist klar, dass jetzt einige doch eine Alternative zu verschiedenen Aussagen sehen. Nennen wir diese Alternative einfach mal „Gleichgültigkeit“. Wie der Name schon sagt, werden hier zwei Dinge miteinander verglichen und das Resultat ist in dem Fall gleich. Dies bedeutet auf keinen Fall, dass es euch egal ist, ob ihr nun gut oder schlecht über etwas denkt, es bedeutet ganz klar, dass ihr nicht fähig seid, einen Unterschied klar zu definieren. Ihr mögt keine gleichgültigen Menschen, diese sind euch nicht geheuer und ihr stuft sie deshalb lieber als „schlecht“ ein. Mir ist bei meinen Beobachtungen aufgefallen, dass Gleichgültigkeit einem das Leben doch wesentlich einfacher macht, als das Binärsystem, in dem ja der größte Teil lebt, es vermag. Logisch ist das schon, wenn man bedenkt, dass man nur noch eine einzige Auswahlmöglichkeit hat. Doch zurück zu den guten und schlechten Zeiten.

Ein Lächeln konnte ich mir jetzt nicht verkneifen, denn ich musste jetzt nicht nur an diese Zeitverschwendung im Fernsehen denken, sondern auch daran, wie sinnlos eine solche Aussage überhaupt ist. Zeit (dazu später mehr) ist etwas rein Fiktives, wie kann sie also unterteilt werden in „gut“ oder „schlecht“? Das soll an dieser Stelle auch nicht wichtig sein.

Wisst ihr, ihr verbaut euch euer ganzes Leben dadurch, dass ihr stets alles bewerten müsst. Wenn ihr damit mal aufhören würdet, würdet ihr schnell bemerken, wie vielseitig das Leben doch sein kann. Ich bin mir bewusst, dass es nicht leicht ist, diese Angewohnheit einfach so abzulegen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass diejenigen, die es versuchen, sich erst einmal einreden wollen, dass dies eine „schlechte“ Angewohnheit ist. Wobei wir wieder am Anfang der Geschichte stehen würden. Ein Teufelskreis, oder doch eher nur eine Linie, es gibt ja schließlich nur links und rechts. Einen Tipp hätte ich schon, geht mal hin zu einem Menschen, den ihr als „Den mag ich nicht“ eingestuft habt, und versucht euch mal mit dem so zu unterhalten, als wäre er ein Mensch aus der anderen Sparte. Wenn euch das gelingt, seid ihr auf dem – verzeiht mir das Wortspiel – „richtigen“ Weg.

*** Richtig / Falsch ***

Von allen Paaren, die ich im vorherigen Unterkapitel erwähnt habe, finde ich, bedarf dieses Paar auch einer näheren Untersuchung. Die Schule ist da, damit ihr was fürs Leben lernt. Ihr lernt also Schreiben, Lesen und den sozialen Umgang. Zu dem sozialen Umgang gehört aber auch die wichtige Erkenntnis, dass es sehr vieles auf der Welt gibt, was man verkehrt machen kann. Wörter kann man falsch schreiben, man kann sie falsch aussprechen und sogar falsch gebrauchen. Natürlich kann man all dies auch richtig tun, aber man wird nie darauf hingewiesen, wenn man etwas richtig tut. Man wird stets nur angeklagt, wenn man auf dem „falschen“ Weg ist. Es ist von einer enorm wichtigen Bedeutung für die Gesellschaft, dass alle Schafe der Herde im gleichen Ton mähen. Nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Interaktion würde darunter leiden, wenn die Schule die Tierchen nicht richtig ausbilden würde. Natürlich habe ich nichts gegen diese Tatsache auszusetzen. Die Folgen eines solchen Unterrichts sind jedoch fatal für das Leben jedes Individuums. Die Vorstellung, alles im Leben drehe sich um „richtige“ und „falsche“ Entscheidungen, brennt sich tief in die Köpfe der kleinen unschuldigen Kinder und prägt ihr Handeln für den Rest ihres Daseins. Stets darauf bedacht, alles „richtig“ zu machen, kommen nicht selten Zweifel auf und Ungewissheit nagt an den Fingernägeln. Schuldgefühle treiben Tränen in die Augen und Entschuldigungen fließen aus jedem Munde. Starres gradliniges Denken führt dazu, die Entscheidungen im Leben stets zu kontrollieren. Es ist zwar jedes Mal nur eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten, doch die Frage, ob es nun die „richtige“ Wahl war, bleibt bestehen, bis sich Zeit über die Sache gelegt hat.

Wenn man den Schülern klarmachen würde, dass alles, was sie in der Schule lernen, nur dem Sinn und Zweck dient, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, und dass alle anderen außerschulischen Ereignisse nicht zwingend „falsch“ und „richtig“ sein müssen, dann wäre die Menschheit schon einen gewaltigen Schritt vorwärtsgekommen.

Ich will nur damit sagen, dass alles, was den Menschen persönlich betrifft, immer jenseits der Begrenzung „Richtig oder Falsch“ passiert. Euer gesamtes Denken und Handeln ist für euch selbst genommen nie „falsch“! Wenn ihr etwas tut, so tut es mit gutem Gewissen. Jede Entscheidung, die ihr für euch selbst trefft, ist eine Entscheidung, die niemals infrage gestellt werden sollte. Zweifel sind etwas für Menschen, die ohnehin nicht ohne die Meinungen und Bewertungen anderer leben können. Wenn ihr also euer Leben von dem eines anderen abhängig machen wollt, so folgt dem Ruf der Herde. Andernfalls steht zu dem, was ihr euch vorgenommen habt. Wenn andere es bewerten, so irren sie aus genau dem Grund, den ich gerade erläutert habe.

*** Recht / Unrecht ***

So wie Kriege im Großen Recht mit Unrecht zu erzwingen versuchen, so gibt es dieses Prinzip auch im Kleinen. Man braucht nur vor die Tür zu gehen. Nicht nur die Gesetze, auch die Gewohnheiten, Sitten und gesellschaftlichen Zwänge treiben Menschen dazu, gerne im Recht zu sein. Dies führt jedoch mehr oder weniger fast immer dazu, dass Menschen sich dieses Recht in Form von Unrecht zu eigen machen. Ob sich das nun in Form einer Lüge zeigt oder gar durch einen Mord passiert, der Mensch will zeit seines Lebens immer im Recht sein. Dies steht ihm schließlich von Geburt an zu. Was das zur Folge hat, ist so offensichtlich, dass es jeder einfach übersieht. Freunde können sich entzweien, Ehen können zerbrechen, Bekanntschaften können vergehen und ein Leben kann erlöschen. Dieser Kampf um Recht und Unrecht spielt sich fast immer nur (von Selbsttäuschung mal abgesehen) in zwischenmenschlichen Beziehungen ab. Doch wieso will jeder immer im Recht sein? Was treibt euch an, diesem Verlangen immer und immer wieder nachzugeben? Ist es die eigene Unsicherheit oder einfach nur, wie bereits erwähnt, euer tief sitzender Egoismus? Erkennt ihr nicht, dass die Suche nach Recht immer mit Unrecht gepflastert ist? Wollt ihr nicht erkennen, da ihr andernfalls ja sonst im Unrecht seid? Wie unschuldig sind eure Kinder, ehe sie lernen nach euren Regeln zu leben. Es ist eine Schmach, mit ansehen zu müssen, wie ihr jede Generation dazu verdammt, in eure Fußstapfen zu treten, nur um euer eigenes Vermächtnis weiter in die Zukunft zu tragen. Ihr nehmt euch einfach das Recht, das Leben eines jeden Nachkommens im Voraus schon zu bestimmen, und wenn ihr dieses Recht „habt“, so werden jene, die nach euch kommen, annehmen, es auch zu „haben“. Ein Teufelskreis, in dem die Menschheit sich schon seit Ewigkeiten befindet. Es wird Zeit dieses eine Mal, und wenn es mit Unrecht geschieht, diesen Kreis zu durchbrechen und einen neuen, eigenen Weg zu gehen. Den Weg des Neomatismus. Unseren Weg! Lernen müsst ihr, ein Leben auch mit Unrecht führen zu können, denn eure Schuld wird euch ewig bleiben. Sie wird euch das Einzige sein, das euch ins Grabe folgt, und stolz könnt ihr dann behaupten gelebt zu haben! Die Illusion, immer im Recht sein zu müssen, wird euch lachhaft vorkommen und mit Lachen lebt es sich nun mal einfacher. Auch ich bin mir darüber im Klaren, vielleicht im Unrecht zu sein, wenn ich euch so verurteile, dennoch würde ich lieber für eine Überzeugung sterben, als für die Illusion einer heilen Welt weiterzuleben. Genauso wie ihr selbst immer wieder versucht, im Recht zu sein, so versucht ihr in anderen Unrecht zu säen. Auch dieses Recht habt ihr nicht. Ihr hattet es nie! Was andere Menschen tun, ist nicht eure Angelegenheit. Ihr dürft nicht andere verurteilen für ihre Taten, ob es sich nun um eure Kinder, Lebensgefährten, Freunde, Bekannten oder um Fremde handelt. Sie alle sind nicht Teil eures Lebens, sondern sie führen ihr eigenes. Auch wenn man mit einem Menschen längere Zeit sein Leben teilt, so führen doch beide die gesamte Dauer zwei unterschiedliche Leben. Da beide jedoch immer ein Recht auf Recht beanspruchen, ist der jeweils andere stets im Unrecht. Dies ist nur einer von vielen Gründen dafür, warum Beziehungen meistens auseinanderbrechen. Das einzige Recht, das ich sehen kann, was euch zusteht, ist das Recht der Selbstbestimmung. Ihr bestimmt euch und euer Leben stets selbst. Dieses Recht kann euch keiner nehmen, egal wie die äußeren Umstände sind. Nutzt dieses Recht, es bleibt euch bis ans Ende eurer Zeit!

*** Schwarz / Weiß ***

Dieses Paar bezieht sich jetzt keineswegs auf die Hautfarbe, sondern auf die Farben selbst. Schwarz und Weiß sind ganz spezielle Zustände. Während Weiß die Summe allen Lichtes ist, ist Schwarz das komplette Fehlen desgleichen. Es sind zwei Absolutheiten. Doch die Welt besteht aus sehr vielen Farben. Sie ist ein bunter Haufen Erde mit überwiegend blauem und grünem Inhalt. Doch der Mensch selbst interessiert sich nicht für all diese Farben, es gibt nur Schwarz und Weiß. Das Leben verläuft in Grautönen. Diese Symbolik wird öfters benutzt, um die Problematik, die hier aufgeführt wird, im kleineren Sinne zu erklären. Ihr habt sicherlich schon einmal miterlebt, wie jemand, der euch trösten wollte, genau diese Worte benutzte: „Ach komm schon, Kopf hoch, es ist nicht alles schwarz-weiß.“ Ich wundere mich jedes Mal, wenn ich solch einen Satz höre. Er zeugt von Überlegung und Verständnis und doch beruht er meist nur auf einem momentanen Mangel an Wahlmöglichkeiten. Immer dann, wenn kein Ausweg in Sicht ist, muss das Kehrseitendenken zur Seite geschoben und eine neue Alternative geschaffen werden. Es ist der Moment, an dem unbewusst klar wird, dass das Denken, wie ihr es gelernt habt, nicht immer funktioniert. Die Dauer dieses Momentes ist jedoch leider meist sehr kurz. Sobald eine Alternative geschaffen wurde, wird sich wieder an die alte Denkweise zurückorientiert. Ab jetzt läuft wieder alles in einem alten Fernseher im Kopf ab, der nur Schwarz und Weiß kennt. Dies ist einfach zu erklären, der Moment selbst, an dem etwas Neues erschaffen wird, macht den meisten Menschen Angst. Sie fürchten sich nämlich vor allem, was sie nicht kennen, auch wenn dies ihnen hilft. Einmal tief Luft holen und Schwups sieht alles wieder schön grau aus. Kennen Sie den Film „Pleasantville“? Alles schön grau und als Farbe ins Spiel kommt, wird dies anfangs zwar verachtet, doch bringt es den Einwohnern am Ende doch mehr Freude, als sie es sich erwartet hätten. Obwohl eure Welt nicht nur aus Grautönen besteht, verläuft doch alles in ziemlich den gleichen Bahnen. Alles Neue ist so lange schwarz, bis es sich am Ende vielleicht doch als weiß herausstellt.

Seht ihr, Schwarz wird in eurer Zeit mit „schlecht“ verbunden und Weiß wiederum mit „gut“. Also muss Grau zwangsläufig das „Normale“ darstellen. So wie es unzählige verschiedene Grautöne gibt, gibt es auch unzählige Normalitäten. Nur die Extreme, Schwarz und Weiß, die bleiben jedes Mal bestehen.

*** Schicksal / Zufall ***

Wenn es etwas in eurem Leben gibt, wo sich die Menschheit auch heute noch nicht sicher ist, dann ist es die Frage, ob alles nur Zufall oder alles Schicksal ist. Ist alles, was ihr tut, nur eine reine Zufallskette, wo ein Glied sich nach willkürlicher Lust und Laune an das nächste heftet, oder ist jedes Glied von Anfang an da und kann erst, wenn die Zeit gekommen ist, entdeckt werden. Die Frage ist sehr wohl bedeutend, da je nachdem, wie die Antwort ausfällt, euer Leben eine ganz neue Bahn nimmt. Wenn alles nur Zufall ist, ist es egal, was ihr tut, wann und wie ihr etwas tut, am Ende entscheidet der Zufall darüber, wie es ausgeht. Wenn nun aber alles vorherbestimmt ist, dann ist es ebenfalls egal, was ihr tut, wann und wie ihr etwas tut. Der Unterschied liegt nun in eurer Einstellung. Zufall scheint etwas zu sein, worauf ihr Einfluss nehmen könnt. Durch Hoffnung, Glauben und starke Konzentration kann es durchaus vorkommen, dass der Zufall zu euren Gunsten ausfällt. Ich sehe da nur den Haken, dass dies wiederum, wie der Name schon sagt, auch nur Zufall gewesen sein kann. Mit dem Schicksal sieht das Ganze anders aus. Ihr fürchtet euch davor, eurem Schicksal ins Auge zu sehen, da ihr dann keine Kontrolle mehr habt. Vorherbestimmung ist klar und daran lässt sich nun mal nichts mehr ändern, egal wie sehr ihr betet oder meditiert.

Ich finde dieses Paar ist das lustigste unter allen, da ihr auf jeden Fall einen Unterschied darin ausmachen könnt, ich aber beim besten Willen nicht die geringste Abweichung sehen kann. Es ist in beiden Fällen nicht möglich zu sagen, wie etwas ausgeht. Am Ende steht ihr da und müsst wie immer selbst entscheiden, ob das, was geschehen ist, nun Schicksal war oder ob euch der Zufall wieder mal einen Streich gespielt hat. Ich würde eher darauf tippen, dass der entscheidende Faktor am Ende doch eher der Mensch selbst ist. Er hat die Fäden in der Hand und bestimmt über sein Schicksal, auch wenn der Zufall manchmal dazwischenfunkt.

*** Glück / Pech ***

Wie gut geht es jenen Menschen, die nur so vom Glück verfolgt werden. Diese Menschen haben erkannt, dass das Glück einfach jedem nachläuft. Man darf halt nur nicht schneller laufen als es. Spaß beiseite, auch Glück und Pech entspringen dem zweidimensionalen Denken des menschlichen Gehirns. Ein Sprichwort sagt: „Was des einen Leid, ist des andern Freud!“ Wer also Pech hat, der darf sich auf die Schultern klopfen, weil wegen ihm ein anderer nun Glück hat. Eine gute Tat am Tag ist doch wohl das wenigste, was man tun kann. Nun, dann sind die Menschen, die immer nur Glück haben, recht bescheiden beim Austeilen der guten Taten.

Im Gegensatz zu andern Paaren liegt das Geheimnis von Glück und Pech nur im Auge des Betrachters. Ein Beispiel: Es ist Nacht, neblig und die Straßen sind gefährlich glatt. Ein etwas betrunkener Fahrer fährt schneller und schneller, auf einmal taucht wie aus dem Nichts ein Baum mitten auf der Straße auf und das Auto wickelt sich kurzerhand drum herum. Der Fahrer jedoch überlebt wie durch ein Wunder. Viele würden jetzt sagen, der Kerl hatte unglaubliches Glück, doch der Fahrer selbst meinte dazu nur: „Mist, so ein Pech! Jetzt ist mein Auto auch noch hin!“

Es ist also unmöglich, klare Grenzen zwischen Glück und Pech zu ziehen. Ich kann euch diesen einen guten Rat geben: Versucht einfach in allem, was euch passiert, Glück zu sehen. Es ist euer gutes Recht, stets so egoistisch zu sein, dass alles, was euch betrifft, nur mit Glück zu tun haben muss, denn wer weiß, es hätte durchaus schlimmer kommen können. Wenn ihr jedes Mal Glück habt, muss laut Sprichwort auch zwangsläufig jedes Mal einer da sein, der vom Pech verfolgt wird.

*** Alles andere ***

Wer kann behaupten, nie im Leben ein Urteil gefällt oder eine Entscheidung getroffen zu haben? Niemand kann das. Es geht nicht. Jeder Mensch auf dieser Erde ist durch seine Herkunft dazu bestimmt, ein Wesen zu sein, das Vergleiche ziehen und Wege gehen muss. Jeder lernt, wie alles zu sein hat und wie alles in seiner Gewichtung zu handhaben ist. Jeder weiß früher oder später, wie die Konsequenzen aussehen und wie man sich gegen unerwünschte Folgen wappnen kann. Es ist alles so einfach. Ein Leben im Binärsystem, aufgebaut auf Nullen und Einsen. Jedes Ding, jeder Gedanke und jede Tat hat eine und nur eine Kehrseite. Zusammengeflochten wie das Netz einer Spinne geht es von der ersten Zweiteilung immer tiefer in den Abgrund der dualen Fixierung.

„Wenn es nicht so ist, dann muss es anders sein!“ – „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ – „Wer A sagt, muss auch B sagen!“ –„Wer andern eine Grube gräbt, der fällt selbst hinein!“ Ich könnte noch viele andere Sprichwörter aufzählen, die genau das aussagen, was ich in diesem Kapitel andeuten wollte. Der Mensch ist in seiner zweidimensionalen Denkweise eingesperrt.

Es gibt aber nicht immer nur zwei Seiten. Es gab sie nie! Es gibt unendlich viele Möglichkeiten und unendlich viele Wege. Mann muss nicht jeden Menschen beurteilen und man muss sich im Leben auch nicht immer für alles entscheiden. Es steht jedem frei, zu tun, zu denken und zu lassen, was und wann er es will. Wer da anderer Meinung ist, der weiß es nur nicht besser! Ich habe schließlich auch in euren Schulen gelernt, und wenn mir jemand erklären wollte, warum und wo ich etwas „falsch“ gemacht habe, dann musste dieser mir auch erklären können, worin der Fehler lag. Eine Antwort wie: „Das ist eben so!“ kann ich nicht akzeptieren. Nichts im Leben ist einfach nur mal eben so. Alles hat einen Ursprung und den findet man immer in den Köpfen der Menschen. Wenn man also erst im Kopf ein wenig aufräumt, schafft man vielleicht sogar Platz für eine der unendlich vielen Alternativen.

Noch ein schönes Beispiel am Schluss. Der klassische Münzwurf. Die Münze fliegt in die Luft, eine der beiden Parteien wählt nun Kopf oder Zahl. Die Münze landet auf dem Boden dreht sich noch eine Weile um die eigene Achse und bleibt am Ende auf dem Rand stehen. Wer hat nun gewonnen und wer verloren?

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