Neomat

Kapitel 5

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Angst oder: Wie Unwissenheit sich manifestiert

 

Wenn ich einsam und verlassen bin, so passiert es schnell, dass ich mich in Gedanken verliere. Immer wieder frage ich mich, wohin mein Weg geführt hätte, wenn ich an all den Kreuzungen, die mein Leben bislang aufwies, jedes Mal eine andere Richtung eingeschlagen hätte. Dann schließe ich die Augen und gehe den Weg in Gedanken und Erinnerungen zurück. An jeder Kreuzung halte ich einen Moment lang inne und starre in die Richtungen, die damals nicht infrage kamen. Ich sehe nur Dunkelheit. Nichts lässt mich wissen, wie es hätte sein können. Jeder Versuch, einen Schritt in eine andere Richtung zu machen, scheitert. Der Boden tut sich auf und unter mir fängt die Welt an sich aufzulösen. Alles um mich herum will mir klarmachen, dass der Weg, den ich damals ging, auch heute noch der einzig richtige Weg ist. Jede Frage nach dem Warum und Wieso und jedes noch so kleine „Was wäre, wenn“ versinkt vor mir in der Leere und übrig bleibt nichts als eine einzige Gewissheit: die Ungewissheit.

 

*** Allgemein ***

Kann man Ängste verallgemeinern? Natürlich! Man kann nicht jede Angst in einen Topf werfen und dann behaupten: alles Schwachsinn! Das geht nicht. Die Ursache jedoch, wie eine Angst aufkommt, die ist immer die gleiche! Ängste sind Gefühle und diese hab ich schon im vorherigen Kapitel erklärt. Die Summe der Gedanken. Also ist Angst auch nicht viel mehr als ein addierter Haufen von Gedanken. Nicht ganz! Die Angst hat den kleinen Nachteil, dass zu allen Gedanken am Ende immer ein zusätzlicher Faktor hinzugefügt wird. Die Unbekannte. Ihr Menschen habt verlernt offen für einfach alles zu sein. Dies liegt ganz klar nur an eurer eingeschränkten Sichtweise der Wirklichkeit. In eurem Leben muss immer alles einen Platz, einen Namen und eine Bedeutung haben. Ob es sich nun um reale Dinge oder fiktive Abbildungen handelt, alles, was es gibt, ist akzeptierbar. Alles Neue jedoch ist erst einmal unbekannt. Sätze wie „Er fürchtet alles Neue!“ oder „Er hat Angst vor Veränderung!“ sind keine Seltenheit. Sie beschreiben genau genommen den Grund aller Ängste. Was der Mensch nicht kennt, macht ihm Angst. So einfach ist es und so einfach kann man dieses ganze Kapitel zusammenfassen. Zugegeben, wenn es wirklich so einfach wäre, hätte dieses Thema kein ganzes Kapitel bekommen.

Angst kann vieles bewirken. Sie kann Menschen in den Wahnsinn treiben. Sie kann Menschen zusammenschweißen. Sie kann fromme Christen zu blutrünstigen Mördern machen. Sie kann Leute zu Taten zwingen, die weit über ihre Vorstellungskraft gehen. Sie kann das ganze Weltbild innerhalb von Sekunden auf den Kopf stellen.

Wie alle anderen Gefühle lässt sich auch die Angst kontrollieren. Man hat immer eine Wahl und wer lieber in Furcht lebt, der kann das ruhigen Gewissens gerne tun. Wer aber sich von seiner Angst befreien möchte, der braucht nur die entscheidenden Gedanken dem Endresultat beizufügen.

Immer wieder, wenn ich an einem eurer Tischgespräche teilhabe und euch zuhöre, wie ihr über Ängste redet, kommt irgendwann sicher die Frage: „Wie kannst du vor so etwas Angst haben?“ Es scheint, als hätte jeder vor irgendetwas Angst und jeder kann den anderen nicht in seiner Angst verstehen. Der eine mag Spinnen und fürchtet sich vor Schlangen. Der andere mag Schlangen und fürchtet sich vor Spinnen. Beide können sich nun stundenlang darüber unterhalten, warum die Angst des jeweils anderen im Grunde doch sinnlos ist. In beiden Fällen spielt sich das gleiche Muster im Kopf ab und trotzdem scheinen beide Personen ganz unterschiedlicher Auffassung zu sein. Es sind in fast allen Fällen meist alltägliche Dinge, vor denen sich der Mensch fürchtet. Zum Beispiel wird man in Zentraleuropa kaum jemanden finden, der panische Angst vor einem Tiger hat. Allerhöchstens eine gesunde Portion Respekt.

Es wird sicherlich niemand von seiner Angst am Ende erlöst sein. Das ist nicht mein Ziel und auch nicht meine Absicht. Wer seine Angst loswerden will, der muss alleine damit fertig werden!

Von normalen Ängsten bis hin zu Phobien. Der Mensch ist wirklich imstande, sich alles Mögliche einzureden. Wenn Angst ein Feuer wäre, dann wären die Medien die Kohle, die man nachwerfen kann, solange man möchte, dass das Feuer schön brennt, und jeder Gedanke wäre ein Schürhaken, der das Feuer wieder aufflammen lassen kann.

Die Medien selbst sind nicht schuld an den Ängsten der Menschen, es ist vielmehr die Quantität des Wissens und der Informationen. Schon merkwürdig, wenn ich doch behauptet habe, dass gerade Unwissenheit der Antrieb der Angst ist. Wie kann denn eine zu große Menge an Wissen zu einer Angst führen? Auch wenn man alles wüsste, birgt das Leben zu viel Unbekanntes. Es wird immer etwas geben, das man nicht voraussehen, das man nicht erklären oder nicht verstehen kann. Das Ausmaß der Angst liegt nun ganz alleine in der Gewichtung dieser unbekannten Faktoren. In sehr vielen Fällen ist man sich sogar der Konsequenzen im Vorfeld schon bewusst, und wenn diese schon nicht rosig sind, dann schürt das wieder einmal das Feuer der Angst. Auch schlechte Erinnerungen können dazu beitragen, dass dieses Feuer immer größer und heller lodert.

Ein kleines Beispiel anhand einer Spinne: Stellt euch mal eine Spinne vor, nun geht davon aus, dass ihr noch nie zuvor in eurem Leben etwas Vergleichbares gesehen habt. Ihr werdet jetzt schon ein kleines bisschen Angst haben, aber die Neugierde überwiegt. Jetzt erklärt euch jemand, dass man dieses Ding „Spinne“ nennt. Die Neugierde wird größer, die Angst kleiner. Dann schildert euch jemand, dass er schon einmal von einer Spinne gebissen wurde und dass er dadurch fast ein Bein verloren hätte. Die Neugierde wird kleiner, die Angst größer!

Ihr habt zu diesem Zeitpunkt zu viele Informationen bekommen und wieder einmal in diesem zweidimensionalen Denken eine Entscheidung innerhalb von Sekunden gefällt. Ihr mögt keine Spinnen! Ihr fürchtet euch sogar davor, ein Bein zu verlieren, wenn dieses Ding euch beißt. Doch ist diese Spinne, die vor euch steht, überhaupt giftig? Warum sollte sie euch beißen, wenn sie nicht von euch bedroht wird? All diese Fragen scheinen unwichtig zu sein. Die Tatsache alleine, dass die Möglichkeit besteht, reicht aus, um Angst aufflammen zu lassen.

Angst hat durchaus auch seine positiven Aspekte. Wer sich fürchtet oder wer die Gefahr im richtigen Moment erkennt, der kann sich viel Leid ersparen. Man bedenke nur, dass es doch viel sinnvoller ist, sich vor einem Abgrund zu fürchten, als ihn hinunterzufallen. Die Konsequenzen sind sicherlich viel schmerzloser. Angst ist so betrachtet auch ein Schutzmechanismus für den Körper. Dies weiß ich auf jeden Fall zu schätzen, solange dieser Mechanismus keine Fehler aufweist. Ist er nämlich defekt, kann er schwerwiegende Folgen für das soziale Leben haben – und gerade das ist euch Menschen doch am wichtigsten. Was kann ein solcher Defekt sein? Ganz einfach, es kann vorkommen, dass man zu schnell und zu oft Angst bekommt. Man kann sich zu sehr fürchten und man kann sicherlich auch zu wenig Angst haben.

Zu schnell der Angst zu verfallen, ist nicht sinnvoll: Die meisten Leute wollen schon aus der augenblicklichen Situation flüchten, noch ehe sie überhaupt angefangen hat. Meist werden solche Leute auch „Angsthasen“ genannt.

Zu oft der Angst zu verfallen, ist auch nicht von Vorteil: Es ist in vielen Situationen meistens auch gar nicht notwendig. Sehr viele Menschen überreagieren einfach und schieben schon Panik, wenn sie nur ein falsches Wort hören. Sobald diese Leute sich dann beruhigt haben, kann jedes noch so kleine Geräusch sie wieder in Angst versetzen. Mit diesen Menschen muss man unglaublich viel Geduld haben.

Zu sehr der Angst zu verfallen, ist ebenfalls nicht nützlich: Die meisten Situationen werden falsch eingeschätzt. In sehr vielen Fällen, wissen die Menschen nicht genau, worauf sie sich einlassen, und haben auch irgendwie ein Problem damit, genau nachzufragen. Diese Scham bewirkt jedoch, dass sie sich lieber fürchten, als sich einzugestehen, dass sie nicht perfekt sind. Ich habe bisher noch nie einen perfekten Menschen gesehen. Ich bin mir aber sicher, dass „perfekt“ und „Mensch“ eigentlich nicht zusammen in einen Satz gebracht werden können. Es ist doch im Grunde ein Widerspruch an sich!

Zu wenig der Angst zu verfallen, ist genauso fehl am Platz: Es gibt ohne Zweifel auch Situationen, wo es angebracht sein kann, Angst zu haben. Manche Ängste haben die Besonderheit, im menschlichen Körper Reaktionen auszulösen, die in Gefahrensituationen von großem Nutzen sein können. Beispielsweise ein kleiner Adrenalinschub, um hellwach zu werden und so schneller handeln zu können.

*** Scham ***

Scham beruht ganz und gar auf Angst. Sie wird nicht als solche empfunden, doch sie ruft die gleichen Reaktionen hervor. Viele treten lieber einen Rückzug an, als sich ihrer Scham zu stellen. Es ist im Grunde die Angst vor der Beurteilung und Meinung anderer. Nicht in Hinblick auf Taten oder Resultate, sondern die eigene Person betreffend. Ihr habt alle ein Bild von euch selbst im Kopf und dieses Bild gilt es auch anderen zu zeigen. Ihr seht euch selbst so und wollt, dass auch andere euch so sehen. Scham ist also die Alarmanlage dieses Bildes. Sobald das Bild, das ihr nach außen hin zeigt, Gefahr läuft, vernichtet zu werden, tritt Scham in Aktion.

Fast jeder Mensch schämt sich für irgendwas, ob es Taten, Gesagtes oder gar nur Gedanken sind. Diese eine Fähigkeit wird euch von Kindheit an gelehrt. Sie beruht auf dem Prinzip des „richtigen“ Benehmens. Manieren und Anstand – werden diese beiden zu sehr gefördert, ist Scham nie weit entfernt. Ihr solltet eure Scham ablegen. Sie hindert euch nur. Sie birgt auch keineswegs Positives in sich. Im Gegensatz zur Angst ist Scham wirklich komplett nutzlos. Es ist ganz egal, wie andere Menschen euch sehen oder was sie von euch halten.

*** Alles andere ***

Wichtig ist vor allem, unterscheiden zu lernen, welche Angst nun sinnvoll ist und welche das Leben beeinträchtigt. Jene Ängste, die sinnvoll sind, könnt ihr behalten und ihr könnt sogar stolz darauf sein, sie zu besitzen. Jene, die sinnlos sind, könnt ihr vergessen und ihr solltet euch echt überlegen, die Gedankenarbeit, die ihr bei einer solchen Angstattacke aufbringt, zu recyceln. Jeder Gedanke, der in eine falsche Richtung geht, ist ein verlorener Gedanke. Da es jedoch bei Gedanken kein „Richtig“ und kein „Falsch“ gibt, kann jeder Weg eingeschlagen werden. Man muss sich nur fragen, ob das Ziel es auch wert ist anzukommen! Vor allem aber sollte man weder den Weg noch das Ziel fürchten. Die Wege, die ihr gehen könnt, sind keine Einbahnstraßen, sie sind in beide Richtungen stets begehbar, und die Ziele, die ihr erreichen könnt, sind keine Sackgassen, es sind Kreuzungen! Jede Angst ist eine Baustelle und an jeder Baustelle geht es halt einfach nur langsamer voran. Sollte es dann doch zum Stillstand kommen, einfach umdrehen und die Umleitung benutzen.

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