Märchen und Metaphern

Prinzessin für einen Tag

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Susi steht vor dem Spiegel und betrachtet sich aus allen Richtungen. Nervös zupft sie an jedem Ende ihres Kleides als die Tür aufgeht und ihre Mutter eintritt. Ihre Mutter sieht sich das Schauspiel ein paar Augenblicke an und meint dann sanft:

„Das steht dir einfach perfekt. Du siehst fantastisch darin aus.“

„Ich hätt nie gedacht, dass ich noch einmal im Leben so nervös sein kann.“, Susi ließ sich mit einem Seufzer rückwärts auf das Bett fallen.

„Du siehst so nachdenklich aus. Bist du dir ganz sicher bei dem was du da tuen willst?“, die Mutter setzte sich daneben.

„Kannst du dich noch an all die Märchen erinnern, die du mir erzählt hast?“ Susi blickte ihre Mutter direkt in die Augen.

„Natürlich. Du warst immer meine kleine Prinzessin.“

„Genau. In allen deinen Geschichten ging es immer um die Prinzessinnen, die in ihrem Turm auf den einen, den richtigen Prinzen, warteten.“, Susi blickte zu Boden, „Weißt du Mama, ich dachte lange Zeit, es müsse so sein wie im Märchen. Ich saß in meiner kleinen Welt und wartete. Immer wieder kamen sie in Scharen und kämpften um meine Gunst. Immer wieder verliebte ich mich in den Gewinner dieser Schlacht, denn, genau wie im Märchen, war es jener, der meine Liebe doch verdient hatte. Ich war immer geblendet von der prächtigen Rüstung und der Tatkraft, jenes wackeren Reckens, der es schaffte, triumphierend mein Herz zu erobern. Doch der ganze Schein war sehr oft trügerisch.“, Susi seufzte.

„Wie meinst du?“ Die Mutter nahm ihre Hand, „Ist es nicht das, was eine Prinzessin verdient? Einen Ritter, der sie rettet aus dieser trostlosen Welt.“

„Doch schon, aber wer waren diese Ritter? Du weißt ja wie all deine Märchen endeten. Immer endete das Märchen damit, dass der wackere Krieger, die Prinzessin in den Armen hielt und beide sich verliebt küssten.“

„So soll es ja sein.“, die Mutter runzelte die Stirn, „Ein Happy End.“

Susi versuchte ein Lachen aufzusetzen, „Ein Happy End. Für das Märchen schon, aber die Wahrheit sah doch sehr oft ganz anders aus. Diese tapferen Kämpfer entpuppten sich im Laufe der Zeit immer als die falsche Wahl. Entweder war es Einer mit gutem Herzen, der die Schlacht um meine Gunst gewann, dann wurde es mir, aber irgendwann langweilig und ich sehnte mich danach, dass wieder einer kommt und um mich kämpft. Meinem langweiligen Leben wieder etwas an Spannung zurückzugeben. Diese Beziehung endete meist mit Frust. Es kam aber auch mal vor, das ein grausamer, bösartiger Ritter meine Hand am Ende hielt. Das Leben schien dann so aufregend und spannend zu sein. Doch diese Ritter interessierten sich nur für sich und für ihren Gewinn. Ihnen war der Wert meines Herzens nicht bewusst. Mit der Zeit wurde das Leben mit ihnen unerträglich und ich musste flüchten, nur um mich selbst vor noch mehr Schaden zu bewahren.“

„Das Leben ist auch kein Märchen mein Kind. Wie kommt es denn jetzt zu dieser Wendung?“, die Mutter starrte ihre Tochter fragend an.

„Ganz einfach Mama, irgendwann war ich lange Zeit alleine und hatte es ehrlich gesagt satt, immer wieder an die falschen zu geraten. Ich saß Monate lang in meinem Turm und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Ohne es wirklich zu wollen, tauchten vor dem Turm wieder diese Ritter auf. Doch anstelle wieder einmal nur am Fenster zu sitzen und naiv auf einen Sieger zu warten, sprang ich auf das Schlachtfeld, entschied mich für eine Seite und kämpfte gemeinsam mit diesem Unbekannten um den Sieg. Auch hier gab es am Ende einen Sieger und einen Kuss. Nur war dies nicht das Ende eines Märchen, sondern der Anfang eines Abenteuers.“

„Erzähl weiter.“, meinte die Mutter.

„Als ich mich für diesen Einen entschieden habe, wusste ich nicht, ob er der Gute oder der Böse sein wird. Es war mir in dem Moment egal. Mich reizte die Schlacht mehr, als der eigentliche Grund dieses Kampfes. Als am Ende nur noch dieser Eine übrig war, ließ ich mich einfach darauf ein. Ich ging mit ihm viele Wege, kämpfte weitere Schlachten gegen falsche Freunde, Hirngespinste, musste ihm oft den Rücken frei halten und nicht seltener war es seine Hand, die mich aus einem Abgrund zerrte. Dieses gemeinsame Kämpfen schnürte uns immer enger zusammen.“, Susi nahm tief Luft.

„Interessant.“, Erwiderte die Mutter, „Hast du jemals herausgefunden, ob er ein Guter oder ein Böser war?“

Susi lachte: „Nein. Es spielt keine Rolle.“

„Versteh ich nicht. Nur um das klar zu stellen, dieser Ritter von dem du da sprichst, ist das jener, den du morgen gedenkst zu heiraten?“, die Mutter kreuzte die Arme.

„Genau das ist er. Ich habe gelernt, dass es falsch ist, eine Prinzessin sein zu wollen. Aber morgen, will ich für einen Tag wieder diese Prinzessin sein. Morgen darf ich mein Schwert wieder einstecken und für einen Tag lang wieder Mamas kleine Prinzessin sein.“, Susi nahm ihre Mutter in den Arm.

„Und wenn er dann doch nicht der Richtige ist?“, die Mutter löste die Umarmung.

„Wie gesagt, es spielt keine Rolle.“, Susi sah so sicher aus wie nie zuvor, „Ich habe gelernt zu kämpfen.“

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